Forschung

Rassismuskritische Bildung

Rassismuskritische Bildung: Erinnerungskultur schaffen.

von Christoph Bitzl

Beeindruckende und verstörende Bilder zugleich werden gegenwärtig aus den Vereinigten Staaten in die Welt getragen. Es sind Proteste gegen Rassismus und für die Gleichberechtigung von Afroamerikaner*innen, die teils gewaltsam niedergeschlagen, teils unter Loyalitätsbekundungen von unterschiedlichsten Menschen mitgetragen werden. Weltweit, auch in bayrischen Städten wie München, Nürnberg und Augsburg gingen die Menschen auf die Straße, um gegen Rassismus zu demonstrieren. Die Perspektiven auf die „Black Lives Matter“-Proteste sind mannigfaltig. Es geht um Debatten über Polizeigewalt. Es geht um die vielzitierte ‚Spaltung‘ der USA durch ihren obersten Amtsinhaber. Es geht aber vor allem um den Rassismus gegen amerikanische Bürger*innen mit nicht weißer Hautfarbe. In den USA verstricken sich jahrhundertelange rassistische Diskurse gegen PoC (people of color) und deren Auswirkungen mit gegenwärtigen politischen Krisen, entladen in Ausnahmezuständen auf den Straßen, ausgelöst durch die Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten in der Stadt Minneapolis.

Ein globales Problem

Rassismus ist aber kein genuin US-amerikanisches Problem. Nicht nur die hinreichend bekannte, von Rassismus gekennzeichnete, europäische Vergangenheit, sondern auch zahlreiche gegenwärtige Studien befassen sich mit dem Phänomen Rassismus in Europa.[1] Deutschland stellt dabei keine Ausnahme dar. Der alltägliche, für nicht Betroffene häufig latente bzw. subtile Charakter des Rassismus rückt vor allem dann in den Lichtkegel, wenn er sich – ähnlich wie in den USA – in Gewalttaten mit rassistischem Hintergrund ausdrückt. Die Ermordung von neun Menschen in Hanau durch einen von rassistischen Motiven geleiteten Täter im März dieses Jahres zeigte dies deutlich. Bei der Verhandlung mit dem Umgang solcher gewalttätigen Entladungen von Rassismus zeigt sich indes aber auch, dass rassistische Denkweisen und Handlungen in der Folge überwiegend am rechten Rand der Gesellschaft und im Besonderen bei ideologisch vereinnahmten, extremistischen Einzeltäter*innen verortet werden. Die Forschung zeigt das Gegenteil: Rassismus ist in Deutschland trotz – oder gerade aufgrund der komplexen rassistischen Geschichte des Landes – ein alltägliches Problem, das in der Mitte der Gesellschaft genauso sichtbar wird, wie in rechtsextremen Kreisen.[2] Die lange Tabuisierung des Begriffs Rassismus infolge der Shoa und des Porajmos sowie der Tötung vieler weiterer als ‚rassisch‘ minderwertig angesehener Menschen hat im postnationalsozialistischen Deutschland dazu beigetragen, dass rassistische Handlungen bis weit in die 1990er Jahre nur selten als solche thematisiert wurden.[3]

Tabuisiert aber nicht verschwunden

Der lange Zeit tabuisierte Rassismus ist aber nicht einfach ‚verschwunden‘. Rassistisches Verhalten äußert sich nach wie vor in Stereotypisierung, Abwertung, Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung. Getragen werden rassistische Handlungen von einem ihnen inhärenten rassistischen Wissen, das sich in der Folge intentional oder auch nicht intentional entladen kann, stetig verbunden mit der Privilegien sichernden Aufwertung des ‚Eigenen‘ und Abwertung des ‚Anderen‘. Rassistische Diskurse liefern somit die Basis für diskriminierende Handlungen gegenüber als ‚anders‘ empfundenen oder so dargestellten Menschen.

Häufig entsteht in öffentlichen Debatten der Anschein, Rassismus basiere auf subjektivem Empfinden und sei Verhandlungssache. Während das subjektive Empfinden von rassistisch Handelnden sowie von Rassismus Betroffenen in der Tat eine Rolle darin spielt, wie mit rassistischem Gedankengut umgegangen wird, welche Intentionen hinter rassistischen Handlungen stecken und welche Auswirkungen sie haben, ist indes die begriffliche Bestimmung von Rassismus kein Feld altkluger Alltagsverhandlungen. „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ und „ich meine das nicht negativ“ sind Relativierungen überdauernder gruppenbezogener und menschenfeindlicher Äußerungen[4], die sich aus einem alltäglichen, institutionalisierten Wissensnetz des Rassismus speisen.

Rassismuskritik: eine Aufgabe von Wissenschaft und Bildung

Es ist Aufgabe der Wissenschaft, sich interdisziplinär mit dem Phänomen Rassismus und seinen Auswirkungen auseinanderzusetzen und durch definitorische Annäherungen an einen niemals erschöpfend operationalisierbaren Begriff Auskunft darüber zu geben, was ihn ausmacht, aus welchem Wissen er sich speist und in welchen Praktiken er sich niederschlägt.

In der Folge ist es Aufgabe der politischen und kulturellen Bildung an Schulen, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen dieses Wissen zu vermitteln, um Menschen zu sensibilisieren und präventiv Rassismus zu begegnen. Dabei ist es eminent wichtig, nicht in einer reinen „es gibt keine ‚Menschenrassen‘“-Lehre zu verharren, sondern die geschichtlichen Zusammenhänge aufzuzeigen, in denen sich rassistisches Wissen etablieren konnte und stetig reproduziert sowie die Parallelen beispielsweise kolonialer Argumentationen zur Legitimation der Gewalt gegenüber den ‚Eroberten‘ in der Gegenwart aufzuzeigen.

Auch zivilgesellschaftlich wird zur Aufklärung über Rassismus beigetragen: In Deutschland haben sich mittlerweile in vielen Städten, wie in München, Nürnberg und Augsburg, teils informelle Zusammenschlüsse postkolonialer Initiativen entwickelt, die eine auf Deutschland bezogene Erinnerungskultur über die Zeiten des Nationalsozialismus hinaus zu etablieren versuchen und dies u.a. über sozialen Medien kommunizieren. Somit rückt neben der uneingeschränkt gleichbleibend bedeutsamen Aufarbeitung des Antijudaismus und –semitismus in Deutschland auch die Aufarbeitung kolonial-rassistischer Spielarten des Rassismus in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit. „Postkolonial München [muc]“ bietet beispielsweise auf seiner Homepage eine Stadtkarte Münchens mit kolonialen Denkmälern, Straßennamen und deren aus einer (rassismus-)kritischen Perspektive eingeordneten Geschichte. Häufig handelt es sich dabei um in rassistische Diskurse verstrickte Manifestationen der Kolonialzeit.[5] „Augsburg Postkolonial – Decolonize Yourself“ veranstaltet regelmäßig geführte Stadttouren, die sich mit der Kolonialgeschichte und ihren Überresten im Stadtbild auseinandersetzen.

Eine solche Auseinandersetzung mit der langen Kolonialgeschichte des Rassismus kann das Verständnis der Funktionsweise des „Apparats Rassismus“[6] verbessern. Auch eine Debatte, wie mit den Denkmälern von in rassistische Kolonialpraktiken verstrickten Persönlichkeiten der deutschen Geschichte umgegangen werden soll, ist – demokratisch geführt – unabdingbar. Sie ohne kritische Rezeption in ihrem Dasein verweilen zu lassen, scheint – gerade aus der Sichtweise einer rassismuskritischen Bildungs- und Aufklärungsarbeit –  eine ungeeignete Zurückhaltung im Umgang mit der Geschichte.

Hochschulen in der Verantwortung

Im Bereich der Hochschulen sollte vor allem dann, wenn über und von Kulturen gesprochen, gelehrt und geforscht wird – unabhängig von der Fachrichtung – ein kritisches Verständnis bei der Nutzung von Kulturkonzepten an den Tag gelegt werden. Dies bedeutet neben der Reflektion, was Kulturen eigentlich sind und wie sie sich realiter in unserer Wahrnehmung manifestieren, den konstruierten Charakter solcher kollektivierenden „Vergleichsgeneratoren“[7] immer im Gedächtnis zu behalten und kritisch einzuschätzen. Denn gerade ‚Kultur‘ kann als Treiber für rassistische Argumentationsweisen wirken und hat dies in der Vergangenheit beständig so getan.[8]

Die weltweiten Proteste, ausgelöst durch den rassistischen Gewaltakt der Tötung George Floyds in den USA, zeigen, dass Rassismus in seiner drastischen Form einen großen Teil der Menschen beschäftigt, wenn nicht gar erschüttert. Doch alltägliche, nicht gewalttätige, institutionalisierte und strukturelle Formen des Rassismus erschaffen erst die Voraussetzung für solche gewalttätigen Entladungen. In postmigrantischen Gesellschaften[9]sind es diese Formen des Rassismus, die den Gleichheitsanspruch Aller unterminieren. Daher bedarf es einerseits weiterer wissenschaftlicher Ausarbeitungen zu Rassismus, andererseits muss in Bildungsinstitutionen genug Spielraum für die tiefergreifende Vermittlung des Themenkomplexes gewährleistet werden. Mit dem Begriff der Rassismuskritik bzw. rassismuskritischen Bildung wird dabei betont, dass es sich um Verhältnisse handelt, derer sich niemand so einfach entziehen kann.[10] Astrid Messerschmidt, Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Gender und Diversität hebt hervor, dass eine rassismuskritische Bildungsarbeit einen erinnernden Zugang entwickeln, die historischen Zusammenhänge von Rassismus kenntlich machen und dabei die Verbindungen und Unterschiede zwischen ‚Damals‘ und ‚Heute‘ herausarbeiten müsse.[11] Vor allem seien dabei auch die Unterschiede zu analysieren, da sich Rassismus in einer Demokratie wie dem gegenwärtigen Deutschland anders äußerten, als sie dies in kolonialen und diktatorischen Verhältnissen vor dem zweiten Weltkrieg noch getan hätten. Es genügt jedenfalls nicht, den Rassismus nur dann zu thematisieren, wenn er in seiner gewaltigsten Spielart auftritt, der Tötung von Menschen. Das Etablieren einer Erinnerungskultur ist die Aufgabe rassismuskritischer Bildung, die an Schulen, Hochschulen und anderen öffentlichen Lehranstalten vermittelt werden muss.

Literaturverzeichnis

Attia, I. / Shooman, Y. / Häusler, A. (2014): Antimuslimischer Rassismus am rechten Rand. Münster.

Foroutan, N. (2019): Die postmigrantische Gesellschaft. Bielefeld.

Friese, H. / Nolden, M. / Schreiter, M. (2019): Rassismus im Alltag. Theoretische und empirische Perspektiven nach Chemnitz. Bielefeld.

Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.) (2012): Deutsche Zustände, Folge 1-10, 2002-2011. Frankfurt a.M.

Hund, W.D. (2017): Wie die deutschen weiß wurden. Eine (Heimat-)Geschichte des Rassismus. Bonn.

Leiprecht, R. (2018): Rassismus und Diversität. In: Zeitschrift Migration und soziale Arbeit,40, H. 2, S. 107-115.

Messerschmidt, A. (2009): Rassismusanalyse in einer postnationalsozialistischen Gesellschaft. In: Melter, C. / Mecheril, P.: Rassismuskritik. Band 1: Rassismustheorie und Rassismusforschung. Schwalbach i.T., S. 59-74.

[1] Für Deutschland vgl. u.a. Ransiek (2019); Friese et al. (2019); Shooman (2014).

[2] Attia et al. (2014).

[3] vgl. u.a. Morgenstern 2002.

[4] Zum Konzept gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit vgl. auch: Heitmeyer (2012); Zick/Küpper/Hövermann (2011).

[5] Nicht selten zeigen sich diese Manifestationen auch in der Werbung oder dem Namen von Hotels, Restaurants etc. vgl. hierzu auch Hund (2017).

[6] Terkessidis (2018): 75.

[7] Nassehi (2011): 148.

[8] vgl. Hund (2017).

[9] vgl. Foroutan (2019).

[10] Leiprecht (2018).

[11] Messerschmidt (2009).

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